DG-Presseinformation von Andreas Kammerbauer zum SGB IX

Sozialgesetzbuch IX tritt zum 1. Juli 2001 in Kraft

Am 11. Mai 2001 hat der Bundesrat dem vom Bundestag im April verabschiedeten Sozialgesetzbuch IX - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen ( kurz : SGB IX) zugestimmt.

Presseinformation der DG :

Sozialgesetzbuch IX tritt zum 1. Juli 2001 in Kraft


Am 11. Mai 2001 hat der Bundesrat dem vom Bundestag im April verabschiedeten Sozialgesetzbuch IX - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen ( kurz : SGB IX) zugestimmt. Das neue SGB IX tritt nun zum 1. Juli 2001 in Kraft. Das SGB IX soll anstelle von Divergenz und Unübersichtlichkeit im bestehenden Rehabilitationsrecht Bürgernähe und Effizienz auf der Basis eines gemeinsames Rechts und einer einheitlichen Praxis und der Behindertenpolitik in Deutschland gesetzt werden.. Dem Benachteiligungsverbot des Grundgesetzes für behinderte Menschen soll mit diesem Gesetz verstärkt Geltung verschafft werden. Das SGB IX ist in mehreren Artikeln gegliedert. Artikel 1 des SGB IX enthält neue allgemeine Regelungen für behinderte und von Behinderung bedrohte Menschen. Art. 1 Teil 1 des SGB IX bezieht sich auf Leistungen zur Teilhabe, mit denen behinderungsbedingte Benachteiligungen vermieden, ausgeglichen oder überwunden werden sollen. Träger dieser Leistungen (Rehabilitationsträger) können sein :

  • die gesetzlichen Krankenkassen,
  • die Bundesanstalt für Arbeit,
  • die gesetzlichen Unfallversicherungen,
  • die gesetzlichen Rentenversicherungen,
  • die Kriegsopferversorgung und -fürsorge,
  • die Jugendhilfe und
  • die Sozialhilfe.

Bedeutsam und eine positive Neuerung ist, dass nun auch die Träger der öffentlichen Jugendhilfe (Jugendämter) und die Träger der Sozialhilfe (örtliche = Sozialämter und überörtliche = z.B. Landeswohlfahrtsverbände) zu dem Kreis der Rehabilitationsträger gehören. Auf diese Weise soll klargestellt werden, dass zu einer vollen Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nicht nur medizinische und berufliche Leistungen zur Rehabilitation wichtig sind und es im Interesse der behinderten Menschen maßgeblich auf eine verbindliche Zusammenarbeit dieser Träger ankommt.
Ein wesentliches Ziel des SGB IX ist es, den Zugang zu sozialen Leistungen schneller zu regeln. § 14 SGB IX legt fest, wie schnell Anträge zu bearbeiten sind. Zur Beschleunigung der Antragsverfahren sollen wohnortnahe gemeinsame Servicestellen der Rehabilitationsträger eingerichtet werden. Hier soll fachgerechte Beratung und Unterstützung erfolgen. Behinderte Menschen müssen sich nicht mehr von Behörde zu Behörde schicken lassen !
Zur Zeit werden bundesweit solche Servicestellen zur Einrichtung vorbereitet. Es soll sie in allen Landkreisen und kreisfreien Städten (insgesamt 309 Servicestellen in Deutschland) geben. Diese Servicestellen sollen barrierefrei sein. Das bedeutet, es soll keine Zugangs- und Kommunikationsbarrieren geben. RollstuhlfahrerInnen sollen ohne Probleme in die Servicestellen hineinkommen können und - das ist neu - das Personal soll sich auf die Bedürfnisse hörgeschädigter Menschen einstellen können. Hierzu gehört, dass sie darin geschult sind, deutlich zu sprechen und sich auf die Bedürfnisse hörbehinderter Menschen einzustellen. Außerdem muss sichergestellt sein, dass GebärdensprachdolmetscherInnen für GebärdensprachnutzherInnen hinzugezogen werden können.
Als Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft zählen auch ausdrücklich Hilfen zur Förderung der Verständigung mit der Umwelt.
In § 57 SGB IX heißt es :
"Bedürfen hörbehinderte Menschen oder behinderte Menschen mit besonders starker Beeinträchtigung der Sprachfähigkeit auf Grund ihrer Behinderung zur Verständigung mit der Umwelt aus besonderem Anlass der Hilfe Anderer, werden ihnen die erforderlichen Hilfen zur Verfügung gestellt oder angemessene Aufwendungen hierfür erstattet."
Das neue Schwerbehindertengesetz sieht die Möglichkeit für eine Arbeitsassistenz vor. Gehörlose Berufstätige stellen den Antrag selbst und müssen hierzu das Einverständnis ihres Arbeitgebers haben.
Arbeitsassitenz betrifft auch die Nutzung des Bildtelefon-Dolmetschdienstes Telesign:
Gehörlose, die im Berufsleben Bildtelefon-Dolmetschdienste über Telesign in Anspruch nehmen möchten, können seit Neuestem dieses auch über Assistenz zu einem monatlichen Betrag von DM 600,- bei den Integrationsämtern beantragen.
Genauere Informationen können direkt über die Deutsche Gesellschaft zur Förderung der Gehörlosen und der Schwerhörigen, Paradeplatz 3, 24768 Rendsburg, Fax 04331/ 589753 oder e-mail: info@deutsche-gesellschaft.de. angefordert werden.
Weitere Änderungen, die insbesondere die hörbehinderten Menschen betreffen :

Artikel 2, Punkt 3.
b) Hörbehinderte Menschen haben das Recht, bei der Ausführung von Sozialleistungen, insbesondere auch bei ärztlichen Untersuchungen und Behandlungen, Gebärdensprache zu verwenden. Die für die Sozialleistung zuständigen Leistungsträger sind verpflichtet, die durch die Verwendung der Gebärdensprache und anderer Kommunikationshilfen entstehenden Kosten zu tragen.

Das bedeutet: sobald hörbehinderte Menschen in Kontakt mit den jeweiligen Rehabilitationsträgern treten und sich dort beraten lassen, haben sie das Recht, zur Absicherung der Kommunikation GebärdensprachdolmetscherInnen hinzuziehen. Der jeweils angegangene Rehabilitationsträger ist dann verpflichtet, die Dolmetsch-Honorare zu bezahlen.
Dieses soll auch für die Ausführung von Sozialleistungen gelten.
Artikel 20 SGB IX ändert das Arbeitsgerichtsgesetz. In § 12 wird es nun einen Abs. 5b geben :
"Kosten für vom Gericht herangezogene Gebärdensprachdolmetscher für hörbehinderte Menschen werden nicht erhoben."
Gehörlose müssen also auch dann die Kosten für das Gebärdensprachdolmetschen nicht zahlen, wenn sie ihren Prozess beim Arbeitsgericht verlieren.
Zukünftig ist wichtig, das SGB IX mit Leben zu füllen. Über 10 Jahren zur Entstehung des SGB IX werden wohl noch viele Jahre der Klärung wichtiger Fragen zur Umsetzung dieses Gesetzes folgen.
Als nächsten Schritt wird es wichtig sein, die Anerkennung der Gebärdensprache auch außerhalb des Zuständigkeitsbereiches der Rehabilitationsträger voranzutreiben. So werden nach dem Willen der rot - grünen Regierungskoalition weitere erforderliche Regelungen zur Anerkennung der Gebärdensprache z.B. im Verfahrensrecht außerhalb des Sozialbereichs und bei Gerichtsverhandlungen in einem zivilrechtlichen Antidiskriminierungsgesetz sowie im Bundesgleichstellungsgesetz für Menschen mit Behinderung getroffen werden. Erforderlich sind des weiteren Landesgleichstellungsgesetze.
Das SGB IX ist ein wichtiger Bestandteil der gegenwärtigen Behindertenpolitik geworden, aber es sind weitere Schritte zur Verbesserung der Situation hörbehinderter Menschen vonnöten.

Andreas Kammerbauer
Stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft zur Förderung der Gehörlosen und Schwerhörigen e.V. Geschäftsführendes Bundesvorstandsmitglied der Bundesarbeitsgemeinschaft Hörbehinderter Studenten und Absolventen e.V.