Blindengeld steht in Niedersachsen zur Diskussion

Der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV) informierte die DG wie folgt: Am 13.Juli verkündete Niedersachsens Finanzminister Möllering, dass sein Land das einkommens- und vermögensunabhängige Blindengeld zum 1. Januar 2005 ersatzlos abschaffen will. Anderen Ländern empfahl er, es Niedersachsen gleich zu tun. Wohin die begonnene Reise gehen soll, formulierte Friedrich-Otto Ripke, Generalsekretär der niedersächsischen CDU in einer an uns weitergeleiteten Mail am 9. August:

"... Mit dem Wegfall des Landesblindengeldes wird der Grundsatz verwirklicht, Sozialleistungen nur an Bedürftige und diejenigen Personen zu geben, die einen Nachteil bei der persönlichen Lebensführung haben und die notwendigen Mehraufwendungen nicht mit eigenen Mitteln ausgleichen können. ..."

Ripke spielt damit auf die Blindenhilfe nach SGB XII an, die es ja weiterhin gibt.
Es manifestiert sich hier eine Gefahr, die ich den zweiten Paradigmenwechsel in der Behindertenpolitik der letzten Jahre nennen möchte.
Nachteilsausgleiche, die behinderten Menschen grundsätzlich eine einigermaßen gleichberechtigte Teilhabe an unserem gesellschaftlichen und beruflichen Leben ermöglichen sollten, werden wieder zu Hilfen umdefiniert, die nur sozialhilfeberechtigten Menschen zugute kommen sollen. Wer zum Beispiel mehr als 2.600 Euro besitzt, muss dieses Guthaben, diese Altersvorsorge o.ä. künftig grundsätzlich behinderungsbedingt aufbrauchen, bevor ihn die Gesellschaft unterstützt. Menschen, die nun einmal ein Leben lang behindert sind, werden auf Dauer in ein System gedrängt, das eigentlich einmal zur Abfederung vorübergehender Notsituationen geschaffen wurde. Ihr Los soll wieder heißen: Nachhaltige Bedürftigkeit! Strategie oder nicht: Klar ist, dass der aktuelle niedersächsische Kabinettsbeschluss nicht nur die Bürgerinnnen und Bürger dieses Bundeslandes und auch nicht nur blinde Menschen trifft. In Schleswig-Holstein beispielsweise läuft das Blindengeldgesetz Ende 2005 aus. In anderen Ländern, in denen Nachteilsausgleiche im Rahmen umfassenderer Gesetze auch an Gehörlose, hochgradig Sehbehinderte oder andere Gruppen Schwerstbehinderter gezahlt werden, fürchtet oder erwartet man bereits den Dominoeffekt. Auch eine Rundfunk- und Fernsehgebührenbefreiung oder eine Freifahrtregelung bisherigen Zuschnitts dürfte kaum noch zu halten sein, wenn es nicht gelingt, den sich in Niedersachsen Bahn brechenden neuen Paradigmenwechsel aufzuhalten.
Meine besondere Bitte gilt in diesem Zusammen hang allen Behindertenorganisationen und ihren Mitgliedern: Die Blinden- und Sehbehindertenselbsthilfe ruft dazu auf, mit einer Demonstration am 11. September in Hannover gegen die Abschaffung des Systems der Landesblindengelder und ähnlicher Nachteilsausgleiche zu protestieren. Wirkung werden wir dabei allerdings nur erzielen, wenn unsere Demonstration eindrucksvoller und größer ausfällt als 2001 in Bremen und wenn wir gleichzeitig noch mehr Unterstützung aus allen Behindertenorganisationen mobilisieren können. Ich bitte deshalb darum, den Demonstrationsaufruf, den ich dieser Mail anhänge, samt dem zugehörigen Anschreiben an möglichst viele Menschen weiterzuleiten.
gez. Andreas Bethke

Anlagen: Aufruf zur Demonstration | Anhang