Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz): Stellungnahme der DG

Rendsburg, 18.05.2016

Die DG hat zum Entwurf des BTHG vom 26.04.2016 wie folgt Stellung genommen:


Sehr geehrte Frau Bundesministerin,

für die Gelegenheit zur Stellungnahme zum o.g. Entwurf sowie für die Einladung zur mündlichen Anhörung am 24. Mai 2016 bedanke ich mich.

Die Deutsche Gesellschaft der Hörgeschädigten – Selbsthilfe und Fachverband e.V. (DG) ist Dachverband von 27 Verbänden, die sich überwiegend auf Bundesebene für gehörlose/taube, ertaubte, schwerhörige und taubblinde bzw. hör-sehgeschädigte Menschen einsetzen.

Die DG begrüßt die Intention, das Bundesteilhabegesetz in Orientierung an den Zielen der UN-Behindertenrechtskonvention auszurichten. Sie erkennt an, dass der Entwurf zum BTHG Verbesserungen beinhaltet. Hervorgehoben wird hier das Bestreben, Selbstbestimmung zu stärken und in diesem Zusammenhang die Verwirklichung einer trägerunabhängigen Beratung.
Dass der Gesetzentwurf gleichzeitig auch das Ziel verfolgt, die Ausgabendynamik der Leistungen für Menschen mit Behinderungen zu bremsen, wird in verschiedenen Zusammenhängen deutlich. Hier besteht die Befürchtung, dass der Entwurf Sparbestrebungen der Länder und Kommunen in einer Weise eröffnet, die bisher erreichte Standards gefährden.
Deshalb kommt die DG zu der Einschätzung, dass es nicht gelungen ist, Menschen mit Behinderungen aus dem bisherigen Fürsorgesystem herauszuführen.

Die DG steht hinter den sechs gemeinsamen Kernforderungen zum Bundesteilhabegesetz des Deutschen Behindertenrates vom 11. 5. 2016, der sich viele andere Verbände sowie die Beauftragte der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen angeschlossen haben. Da diese Kernforderungen uneingeschränkt die Positionen der DG wiedergeben, zentriert sich diese Stellungnahme auf Bereiche, die den durch die DG vertretenen Personenkreis mittelbar bzw. unmittelbar betreffen.

Berücksichtigung des Vermögens und des Einkommens
Erfreulich ist, dass Vermögensgrenzen deutlich angehoben wurden. Darüber hinaus ist auch eine Anhebung der Einkommensgrenzen beabsichtigt. Dennoch ist zu erwarten, dass nach wie vor der Großteil hochgradig hörgeschädigter oder gehörloser bzw. tauber Menschen Leistungen von Gebärdensprach- oder Schriftsprachdolmetschern in Bezügen außerhalb der beruflichen Tätigkeit aus eigenen Mitteln finanzieren muss.
Dies bleibt weit hinter den ursprünglichen Forderungen von Hörgeschädigten-Verbänden zurück, die für solche Leistungen ein einkommensunabhängiges Budget gefordert hatten.

§ 99 Entwurf BTHG
Besondere Sorge bereitet der DG in gleichem Zusammenhang die Fassung des § 99 zur Definition des leistungsberechtigten Personenkreises.
Hier wird im Abs. 1 zur Leistungsberechtigung eine erhebliche Teilhabeeinschränkung vorausgesetzt und deren Feststellung auf neun Lebensbereiche zentriert, von denen mindestens fünf betroffen sein müssen. In Abs. 2 erscheint als ein Lebensbereich unter 3. Kommunikation. Auch wenn bekannt ist, dass hochgradige Hörschädigungen grundsätzlich nicht nur im Bereich Kommunikation erheblich einschränken, sondern auch auf andere im Abs. 2 genannte Lebensbereiche ausstrahlen, wird befürchtet, dass diese Definition unter restriktiver Anwendung eine zukünftige Schlechterstellung von hörgeschädigten Menschen mit der Folge bewirkt, dass diese nicht mehr zum leistungsberechtigten Personenkreis gehören. Demnach hätte z.B. eine gehörlose oder ertaubte Person, die beispielsweise im Studium einen Gebärdensprachdolmetscher oder Schriftsprachdolmetscher benötigt, keinen entsprechenden Anspruch mehr.
Die DG appelliert deshalb an das BMAS, durch klarstellende Formulierungen solche Folgen zu vermeiden.

§ 8 Entwurf BTHG
Es wird befürchtet, dass das Wunsch- und Wahlrecht der Leistungsberechtigten auch in Zukunft nicht die Wirkung entfaltet, die von Hörschädigung Betroffene erwarten.
Denn Menschen mit Hörschädigungen erfahren immer wieder, dass sie dieses Wahlrecht
nicht in der ihren Bedürfnissen entsprechenden Weise ausüben können. Dies betrifft die Entscheidung, je nach Erfordernis professionelles Gebärden- oder Schriftdolmetschen einzusetzen. Nicht selten werden diese Dolmetsch-Leistungen unter Verweis auf das Vorhandensein von Höranlagen abgelehnt, wobei verkannt wird, dass solche Anlagen zum Verstehen häufig nicht ausreichen und hörgeschädigte Menschen mitunter zum chancengleichen Verstehen sowohl Dolmetschen als auch Höranlagen benötigen.

§ 32 Entwurf BTHG
Die Einführung einer unabhängigen Beratung wird begrüßt. Hier wird jedoch kritisiert, dass die Ausgestaltung der unabhängigen Beratung unklar bleibt. Problematisch ist auch die Befristung der Förderung bis 2022, die keine nachhaltige verlässliche Planung durch Organisationen der Selbsthilfe von Menschen mit Behinderungen ermöglicht.
Darüber hinaus enthält diese Norm keine Angaben zur Finanzierung der Barrierefreiheit in der unabhängigen Beratung durch Gebärdensprache oder Schriftsprache bzw. durch den Einsatz von Gebärden- oder Schriftsprachdolmetschern.

§ 46 Entwurf BTHG
Menschen mit Behinderungen können in die Beratungsarbeit zur Frühförderung wichtige Kompetenzen einbringen. Vor allem ermöglichen sie Eltern behinderter Kinder eine realistische wie entlastende Perspektive. Die in der UN-BRK häufig erwähnte Forderung, Partizipation von Menschen mit Behinderungen umzusetzen, sollte sich auch auf § 46 beziehen.
Analog sei hier auf Art. 24 Abs. 4 UN-BRK hingewiesen, Menschen mit Behinderungen als Lehrkräfte einzustellen, die in Gebärdensprache oder Brailleschrift ausgebildet sind.
Es wird ebenfalls für wichtig gehalten, dass eine Förderung der Gebärdensprache, die auch in Art. 2 UN-BRK Anerkennung erfährt, in der Frühförderung umgesetzt wird und deshalb in
§ 46 aufgenommen wird.

§§ 75, 112 Entwurf BTHG
Als problematisch wird gesehen, dass diese Bestimmungen keine außerschulischen Maßnahmen berücksichtigen, da sie sich in Abs. 2 des § 75 auf schulische Bildung, Hochschule und schulische berufliche Weiterbildung zentrieren. Darüber hinaus beinhaltet
§ 112 Kriterien (zeitlicher Zusammenhang, dieselbe fachliche Richtung), die einer Chancengleichheit für Menschen mit Behinderung im Vergleich zu nicht behinderten Menschen entgegenstehen. Dies wirkt sich z.B. nachteilig auf Situationen aus, in denen gehörlose oder andere hochgradig hörgeschädigte Menschen ein Studium abbrechen, ein andere Studium aufnehmen möchten oder sich für ein Zweitstudium interessieren.

§ 78 Entwurf BTHG
Als problematisch wird aus der Sicht von Menschen, die Gebärdensprache oder Schriftdolmetschen benötigen, § 78 Abs. 5 gesehen. Denn der Bezug der Assistenzleistungen auf nicht professionelle Hilfen, die für diese Menschen unabdingbar sind, schließt sie von der Ausübung von Ehrenämtern aus.
Dies gilt auch für Menschen die Taubblindenassistenz benötigen.
Darüber hinaus werden die in § 78 vorgesehenen Formen von Assistenz nicht dem Bedarf taubblinder Menschen an qualifizierter Assistenz nicht gerecht. Die DG schließt sich der Position des gemeinsamen Fachausschusses hörsehbehindert/ taubblind an, dass die Regelungen zur Assistenz für taubblinde Menschen auch die Sicherstellung der Alltagskommunikation berücksichtigen müssen und dass Assistenzleistungen von Fachkräften als qualifizierte Assistenz erbracht werden müssen, sofern die im Einzelfall notwendigen Leistungen dies erfordern.

§ 82 Entwurf BTHG
Es wird begrüßt, dass Leistungen zur Förderung der Verständigung auch insbesondere Hilfen durch Gebärdensprachdolmetscher und andere geeignete Kommunikationshilfen umfassen. Allerdings führt die Formulierung „aus besonderem Anlass“ zu starken Einschränkungen und dazu, dass es aufgrund der Unbestimmtheit dieser Formulierung zu keiner einheitlichen sowie zu einer restriktiven Verfahrensweise kommen wird.
Als problematisch wird gesehen, dass hier der Bedarf taubblinder Menschen nicht ausreichend dargestellt ist. Hier ist um Taubblindheit und taubblindenspezifische Dolmetsch-Leistungen zu ergänzen, die beispielsweise das taktile Gebärden und das Lormen umfassen.

Art. 17 Entwurf BTHG
hier: § 3 Abs. 1 Nr. 8 Schwerbehindertenausweisverordnung
Die DG steht hinter der Forderung des gemeinsamen Fachausschusses hörsehbehindert/ taubblind, Taubblindheit als Behinderung eigener Art zu benennen und verweist an dieser Stelle auf dessen Begründung.

Mit freundlichen Grüßen

Prof. Dr. Ulrich Hase
Vorsitzender
 

Die Stellungnahme zum BTHG finden Sie auch hier.