Ich bin gehörlos oder schwerhörig. So ganz klar ist mir nicht, wann ich nun wirklich Anspruch auf Gebärdensprachdolmetschen habe.
Die folgenden vierzehn Beispiele helfen mir, das Ganze besser zu sehen.
Situation | Möglichkeit zur Finanzierung des Dolmetschers durch SGB IX? | Erklärung |
Ich bin gehörlos und benötige zu regelmäßig stattfindenden Besprechungen (z.B. einmal in der Woche) an meinem Arbeitsplatz einen Dolmetscher | Ja | Grundsätzlich besteht diese Möglichkeit über Arbeitsassistenz nach § 102 SGB IX. Der Antrag wird beim zuständigen Integrationsamt (Hauptfürsorgestelle) gestellt |
ich bin gehörlos. Als Schuhmacher habe ich mich selbständig gemacht. Kann ich auch zu bestimmten Situationen Dolmetscher finanziert bekommen? | Ja | Arbeitsassistenz gilt auch für Selbständige. Auch hier wird der Antrag beim Integrationsamt gestellt |
Ich bin gehörlos und habe noch keinen Arbeitsplatz. Beim Bewerbungsgespräch um einen Arbeitsplatz möchte ich einen Dolmetschdienst nutzen | Ja | Arbeitsassistenz gilt über § 33 SGB IX auch für Arbeitssuchende. Zuständig sind das Arbeitsamt oder auch das Integrationsamt |
ich bin gehörlos und möchte für berufliche Telefonate den Bildtelefon-Dolmetschdienst Telesign nutzen | Ja |
die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Hauptfürsorgestellen unterstützt die Nutzung dieses Dolmetschdienstes gegen einen monatlichen Pauschalbetrag |
ich bin gehörlos und will mich in einer Servicestelle z.B. zu einem Rentenantrag beraten lassen | Ja und Nein | in Servicestellen soll es keine Kommunikationsbarrieren geben. Manche Servicestellen haben vielleicht deshalb Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter, die die Gebärdensprache können. Dann habe ich keinen Anspruch, eine Dolmetscherin bezahlt zu bekommen. Das gilt aber nicht, wenn die Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter die Gebärdensprache nicht können |
Ich bin gehörlos und will mich beim Sozialamt beraten lassen. Ich bringe eine Dolmetscherin mit | Ja und Nein | das Sozialamt gehört zu den Reha-Trägern (siehe § 6 SGB). § 17 SGB I verpflichtet die Reha-Träger zur Finanzierung. Dieses gilt auch dann, wenn ich mich an einen anderen Reha-Träger, der in § 6 aufgelistet ist, wende. Wenn jedoch Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter der jeweiligen Institutionen die Gebärdensprache beherrschen, besteht kein Anspruch auf Dolmetscherinnen oder Dolmetscher |
ich bin von Kindheit an stark schwerhörig. Ich nutze auch die Möglichkeit der "Freifahrt". Nun möchte ich wie Gehörlose zur Beratung z.B. beim Arbeitsamt einen Dolmetschdienst beauftragen | Ja | nach der neuen Ausweisverordnung kann ich auch das Merkzeichen Gl bekommen. Mit diesem Merkzeichen habe ich einen eindeutigen Nachweis dafür, dass der Gebärdensprachdolmetschdienst finanziert werden kann |
ich bin gehörlos und möchte beim Straßenverkehrsamt eine Dolmetscherin hinzuziehen | Nein | das Straßenverkehrsamt ist kein Reha-Träger! Es ist daher über SGB IX nicht verpflichtet, Dolmetsch-Kosten zu übernehmen |
ich bin gehörlos und möchte zur Beratung beim Arzt eine Dolmetscherin haben | Ja | § 17 SGB I schließt den Bereich der ärztlichen Untersuchungen und Behandlungen ausdrücklich ein. Krankenkassen können sich nun nicht mehr weigern, diese Kosten zu übernehmen |
ich bin schwerhörig und habe einen Grad der Behinderung von 50. Ich möchte wie Gehörlose zur Behandlung beim Arzt den Dolmetschdienst hinzuziehen, da ich mich mit Unterstützung durch Gebärdensprache sicherer fühle | Ja und Nein | das Vorliegen des Merkzeichens Gl ist nicht zwingend erforderlich, um Dolmetschleistungen in Anspruch nehmen zu können. Da ich aber das Merkzeichen Gl nicht erhalten werde (ich habe schon vergeblich versucht, "Freifahrt" zu bekommen), wird es mir schwer fallen, die Notwendigkeit zur Finanzierung des Dolmetschdienstes zu begründen. Ich muss damit rechnen, dass es nicht klappt |
ich bin gehörlos und habe beim Arbeitsgericht einen Prozess verloren. Nun fordert das Gericht von mir die Zahlung der Kosten für die Gebärdensprachdolmetscherinnen. Kann ich mich dagegen wehren? | Ja | das Gericht darf aufgrund des § 12 Abs. 5b Arbeitsgerichtsgesetz keine Kosten für den Dolmetschdienst erheben |
Ich bin gehörlos und habe im Scheidungsverfahren beim Amtsgericht einen Dolmetscher bekommen. Habe ich jetzt auch einen Anspruch auf Kostenübernahme über das SGB IX? | Nein | dieser Anspruch besteht nicht aus dem SGB IX. Das SGB IX gilt nur für die Arbeitsgerichtsbarkeit.Es besteht aber die Absicht, einen solchen Anspruch zukünftig über ein Bundesgleichstellungsgesetz für Menschen mit Behinderung zu gestalten |
Ich bin gehörlos und mache meine Abschlussprüfung in einem Beruf nach dem Berufsbildungsgesetz. Nun möchte ich zur Prüfung einen Dolmetscher bezahlt bekommen | Ja | § 48 a Berufsbildungsgesetz regelt den Einsatz des Dolmetschdienstes. Damit ist die Finanzierung durch den zuständigen Reha-Träger sichergestellt |
Ich bin gehörlos und möchte im Examen nach meinem Hochschulstudium Dolmetscherinnen einsetzen. Diese will ich über das SGB IX finanzieren lassen | Nein | dieser Bereich wird durch das SGB IX nicht als zwingend geregelt. Es wird versucht, über das Bundesgleichstellungsgesetz und Landesgleichstellungsgesetze hier Klarheit herzustellen. |
Ein besonders wichtiger Hinweis: Gehörlose haben nun die Möglichkeit, in mehr Situationen als je zuvor Gebärdensprachdolmetscherinnen und - dolmetscher einzusetzen und finanziert zu bekommen. Ich muss aber wissen: Gehörlose tragen Mitverantwortung!
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